
Gucci Cosmogonie bildet ein neues Sternbild โ und strahlt heller als alle anderen!

Kein Zweifel: Die Kommentatoren der Modewelt bewegen sich auf einer niedrigeren kosmologischen Ebene als der Kreativdirektor von Gucci, Alessandro Michele. Manche bezeichnen die kreative Herangehensweise des Designers als “elsternartig” โ in Analogie zu seiner Fรคhigkeit, vielfรคltige Referenzen und Techniken in ein reich strukturiertes und vielschichtiges High-Fashion-Nest zu verweben. Doch er bringt sich und seinen Stil lieber mit beeindruckenden Persรถnlichkeiten wie dem verstorbenen Philosophen und eklektischen Denker Walter Benjamin in Verbindung.

Der deutsche Philosoph ist fรผr seinen eklektischen Ansatz bekannt โ dabei wird versucht sowohl Fragmente aus der Vergangenheit zu retten als auch sie in neue Konstellationen mit der Gegenwart zu bringen. In seinem Werk vergleicht er die virtuelle Objektivitรคt einer Idee, die durch die Neugestaltung realer Phรคnomene reprรคsentiert wird, mit einem Sternbild, das sich simultan zusammenfรผgt und aus einer Anhรคufung einzelner Sterne besteht. In einer Hommage an ihre Freundschaft beschreibt Hannah Arendt Benjamin als โPerlentaucherโ.

โBenjamin ist letzten Endes ein Sammler von Zitatenโ, liest man in den selbstgeschriebenen Notizen von Michele, die wรคhrend der Mid-Season Show GucciโCosmogonieโ gestern Abend verteilt wurden. โEr entdeckt die Zitate in den Tiefen des Meeres und bringt sie als seltene und kostbare Perlen an die Wasseroberflรคche zurรผck. Er stellt sie auf eine bestimmte Art und Weise zusammen โ wie Gedankenfetzen, die neu zusammengesetzt, rekonstruiert, aktualisiert werden mรผssen.โ

Man muss nicht den Intellekt von Benjamin (oder Michele) besitzen, um zu erkennen, dass der Designer bei der Produktion seiner eigenen Kollektionen รคhnlich vorgegangen ist. Er lieร unerwartete Stoffe, รผberraschende technische Schnรถrkel und reichhaltige historische Bezรผge in die breiten Revers und Sรคume der Kleider einflieรen, die auf seinen Laufstegen zu sehen sind.
Die Gucci โCosmogonieโ Show

Die ย Show mit 101 Looks bot ein eindrucksvolles Kontrastprogramm. Die Outfits, die in der Abenddรคmmerung vor den gespenstisch anmutenden Hallen des mittelalterlichen Castel del Monte in Apulien gezeigt wurden, konzentrierten sich in erster Linie auf eine stimmungsvolle, abendliche รsthetik. Der Erรถffnungslook der Herren, eine Kombination aus Trenchcoat und Hose aus schwarzem Leder und Stiefeln mit Stahlkappen, sorgte fรผr eine dรผstere Stimmung.

Worn-in Denim, ein Markenzeichen von Michele, wurde mit juwelenbesetzten Verzierungen entlang der รคuรeren Seiten ganz nach Gucci-Art veredelt โ sei es an zerrissenen Shorts oder Jeans mit weitem Bein. Neben den zotteligen Kunstfellmรคnteln, waren auch fein geschneiderte Outfits und das glรคnzende Kettencape unter den Highlights der Show.

Die Kollektion zelebrierte nicht nur einen ausgesprochen eklektischen Ansatz, den Benjamin sicher gutgeheiรen hรคtte, sondern war auch ein Lockruf an die modebewussten Mรคnner dieser Welt, deren Fรคhigkeit und Wille, fabelhafte Kleidung zu tragen, durch die Pandemie zunichte gemacht wurde. Sicher, es gab ein paar lรคssige Jerseystรผcke in der Show โ ein bauschiges Rugbyhemd mit geteilten รrmeln hier, ein Paar voluminรถse Kaschmir-Trainingshosen im Schachbrettmuster dort โ aber im Groรen und Ganzen markierte die Kollektion eine bewusste Rรผckkehr zu gehobener Eleganz, eine Stimmung, die durch die dramatische Kulisse der Show nur noch verstรคrkt wurde.

Die Kollektion griff auch auf einige klassische Merkmale von Michele zurรผck. Der Designer hat eine Leidenschaft fรผr die goldenen Tage der britischen Aristokratie. Er zeigte zum Beispiel seine Cruise ’17-Kollektion in Chatsworth, dem Stammsitz des Herzogtums Devonshire. Die โGucci Cosmogonieโ-Kollektion las sich ein wenig wie die Traumgarderobe fรผr einen Debรผtantenball des frรผhen 20. Jahrhunderts.

Das Konzept des Wochenendes auf dem Lande war so gut entwickelt, dass die Kollektion sogar ein paar voluminรถse Steppjacken enthielt, die natรผrlich mit weitem Tailoring aus den Siebzigern und perlenbesetzten griechisch-rรถmischen Sandalen getragen wurden.

Ein Groรteil der Kollektion โ der Gesichtsschmuck, das Kettencape oder die Verzierungen auf dem Denim โ schien ein direkter Verweis auf Benjamins Werk zu sein: eine angemessen elsternfreundliche Garnierung fรผr die intellektuelle Hรคrte der Kleidung, die darunter prรคsentiert wurde.

โEin Sternbild ist fรผr Benjamin eine plรถtzliche Erscheinung, voller Spannungenโ, schrieb Michele in seinen Notizen. โEs ist das, was aus der Fรคhigkeit entsteht, Verbindungen zwischen Fragmenten von Welten zu ziehen, die sonst zerstreut wรคren: ein fieberhafter Staub von Zitaten, der bei der Mรถglichkeit eines Kontakts entfacht wird.โ